30 Jahre tlv: Lehrerverband geht mit der Bildungspolitik hart ins Gericht

Erfurt, 28.02.2020 – Der tlv thüringer lehrerverband, der am Wochenende sein 30-jähriges Bestehen feiert, nahm das Jubiläum zum Anlass, um scharfe Kritik an den bildungspolitischen Zuständen in Thüringen zu üben. „Ausnahmslos alle im Landtag vertretenen Parteien haben sich im Wahlkampf 2019 das Thema Lehrermangel groß auf die Fahnen geschrieben“, monierte der tlv-Landesvorsitzende Rolf Busch. „Die Umfragen im Vorfeld haben ergeben, dass Bildung auch für die Wähler das Thema Nummer 1 war. Aber statt die Probleme endlich anzugehen, verschwenden die Politiker kostbare Zeit mit Machtspielen und Revierkämpfen.“

„Momentan fehlen fast 2000 Lehrer“

Wie arg der Mangel inzwischen ist, verdeutlichte Busch anhand der Ergebnisse einer tlv-Umfrage von dieser Woche. Dabei wurden die Schulen gefragt, wie viele Lehrerwochenstunden ihnen offiziell zustünden, wie viele von diesen Stunden tatsächlich personell unterlegt seien und wie viele Stunden außerdem aufgrund von Langzeiterkrankungen nicht abgedeckt würden.

Rund fünf Prozent aller staatlichen Thüringer Schulen, erklärte der tlv-Landesvorsitzende, hätten alle drei Zahlen geliefert. „Wenn wir diese Ergebnisse hochrechnen, dann kommen wir in die Größenordnungen, die der tlv seit Jahren prognostiziert: Um hier und jetzt 100 Prozent der den Schulen zustehenden Lehrerwochenstunden personell zu unterlegen, müssten über 1300 Lehrer zusätzlich eingestellt werden. Und zwar sofort.“ Doch nicht nur das, gibt Busch zu bedenken: „Weitere 600 Stellen wären als Vertretungsreserve nötig, da die Unterrichtsausfälle wegen der inzwischen über 900 langzeiterkrankten Lehrer anders nicht aufgefangen werden können.“

Aufgrund der prekären Situation käme es zu immer verzweifelteren Maßnahmen, erläuterte Busch. So seien dem Verband inzwischen mehrere Schulen bekannt, an denen die Unterrichtszeit von 45 auf 40 Minuten verkürzt wurde. „Auf welcher Grundlage dies entschieden wurde und ob es rechtens ist, klären wir momentan mit den Verantwortlichen. Fakt ist: Diese Maßnahme geht zulasten der Schüler und der Lehrer.“ Ein Lehrer, der regulär 26 Wochenstunden unterrichte, müsse aufgrund dieser Maßnahme drei bis vier Stunden mehr pro Woche unterrichten, rechnete Busch vor. „Unterm Strich weist sein Zeitkonto keine Mehrarbeit auf. Aber er hat mehr Unterrichtsstunden vor- und nachzubereiten, mehr Leistungskontrollen usw. usf.“

Forderung nach Abschaffung der Sitzenbleiber-Regelung

Ein weiteres Thema, das die Thüringer Lehrer derzeit umtreibt, brachte der stellvertretende tlv-Landesvorsitzende Frank Fritze zur Sprache: die automatische Versetzung der Schüler nach den Klassenstufen 5 und 7, wie sie seit 2011 durch die Thüringer Schulordnung vorgeschrieben ist. „Wir sind im Rahmen der Postkartenaktion des Jungen tlv zum Weltlehrertag 2019 darauf aufmerksam geworden, dass das für die betroffenen Kollegen eine massive Belastung darstellt“, so Fritze. Als Reaktion darauf habe der tlv im Januar eine Umfrage unter den Mitgliedern gestartet, an der sich fast 1100 Lehrer aus ganz Thüringen beteiligten.

„Schüler in der Klasse zu haben, die den Lernstoff des vorangegangenen Jahres nicht bewältigt haben, wirkt sich negativ auf das Klassenklima aus und behindert leistungsstärkere Schüler“, resümiert Fritze die Antworten. „Und in der Regel gelingt es nicht, das Versäumte wieder aufzuholen, weil es an den Rahmenbedingungen für eine wirksame individuelle Förderung fehlt. Für die Lehrer wiederum bedeutet diese Regelung die Notwendigkeit, gesonderte Aufgabenstellungen oder ganze Förderpläne zu entwickeln, aber auch ein erhöhtes Maß an motivierenden, beratenen, vermittelnden Gesprächen. Leistungsverweigerung und bewusstes Stören des Unterrichts durch Schüler, die dem Lernstoff nicht folgen können, bringen die betroffenen Kollegen bis an ihre Grenzen.“

Deshalb sei es wenig überraschend, dass mit 96 Prozent eine überwältigende Mehrheit der Umfrageteilnehmer für die Abschaffung dieser Regelung ist. „In einer idealen Schule müsste kein Kind sitzenbleiben, weil es von Anfang an optimal gefördert würde. Aber wir sind sehr weit entfernt vom Ideal. Und unter den gegebenen Bedingungen ist es vorzuziehen, gleich ein Jahr zu wiederholen.“

„Machen Sie Ihre Arbeit!“

Zum Schluss appellierte der Landesvorsitzende Rolf Busch an die Vertreter der Politik, „aus den Schmollecken und Komfortzonen heraus- bzw. von den Richterstühlen der Landespolitik herunterzukommen und endlich wieder ihrer Arbeit nachzugehen.“ Es sei allerhöchste Zeit, so Busch, „die Wahlversprechen einzulösen und den Lehrerkollaps, vor dem der tlv seit fast einem Jahrzehnt warnt, zu stoppen.“

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