Werteerziehung: Alle wollen sie – aber wer macht’s?

Erfurt, 09.11.2018 – Lehrer und Eltern sind sich einig: Eigenverantwortliches Handeln ist das wichtigste Bildungs- und Erziehungsziel. Dies ergab eine Umfrage unter Eltern und Lehrpersonen zum Thema Wertorientierungen und Werteerziehung, deren Ergebnisse der Verband Bildung und Erziehung (VBE), dessen Landesverband der tlv thüringer lehrerverband ist, am heutigen Vormittag präsentierte.

Für die Studie wurden von der Universität Tübingen in Kooperation mit forsa 1.111 Eltern schulpflichtiger Kinder sowie 1.185 Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen befragt. Die Ergebnisse sind bundesweit repräsentativ und liefern erstmals einen Abgleich zwischen den Erwartungen von Eltern und den Einschätzungen von Lehrkräften zu diesem Thema.

Ziel der Studie war, einen Impuls für die aktuelle Wertedebatte zu setzen. Eltern wie auch Lehrpersonen formulierten dabei deutlich, wie wichtig ihnen das Thema Werteerziehung und eine Orientierung an den gesetzlich verankerten Bildungs- und Erziehungszielen in der Schule sind: Über 90 Prozent der Eltern geben für 8 der 16 abgefragten Bildungs- und Erziehungsziele an, dass ihnen diese (sehr) wichtig sind, über 90 Prozent der Lehrkräfte erachten sogar 12 der 16 Bildungs- und Erziehungsziele als (sehr) wichtig.

Gleichzeitig sehen beide Seiten klare Defizite bei der Umsetzung der Werteerziehung. Als Gründe für ein Nicht-Erreichen einzelner Bildungs- und Erziehungsziele nennen Eltern wie auch Lehrpersonen vor allem die unzureichende Berücksichtigung im Lehrplan. Bezeichnend sei, so der VBE-Bundesvorsitzende Uwe Beckmann, dass die Umsetzung bestimmter Ziele genau dort gelinge, wo diese im Lehrplan integriert seien. Die praktische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema, etwa in Form von Projektwochen oder Workshops, beurteilen Eltern und Lehrer als zweitwichtigsten Grund für das Erreichen bestimmter Werterziehungsziele.

Hinsichtlich der Frage, wie wichtig bestimmte Akteure bei der Vermittlung von Werten gegenüber Kindern und Jugendlichen sind, betonen nahezu alle Eltern und Lehrkräfte die bedeutsame Rolle des Elternhauses. Eine große Mehrheit der Eltern und Lehrkräfte gibt zudem an, dass folgend mit ähnlicher Bedeutung auch Schule, die Partnerin bzw. der Partner, der Freundeskreis und der Eigeneinfluss eine wichtige Rolle spielen.

Nur 3 Prozent der Lehrpersonen und 10 Prozent der Eltern halten eine Wertediskussion in Schule für überflüssig. Gleichwohl betont Frank Fritze, stellvertretender Landesvorsitzender des tlv thüringer lehrerverband, dass die Schulen mit diesen Erkenntnissen keinesfalls alleingelassen werden dürften. „Wann immer derartige Erkenntnisse gewonnen werden, folgt fast reflexartig die Forderung: Das muss die Schule richten. Allerdings sind die Kolleginnen und Kollegen seit Jahren permanent überlastet. Eine Verbesserung bei der schulischen Umsetzung der Werterziehungsziele ist deshalb aus unserer Sicht unmittelbar an eine deutliche Entlastung der bisherigen Situation geknüpft.“

Fritze richtet deshalb eine klare Botschaft an die Verantwortlichen in der Landespolitik: „Die heutigen Ergebnisse liefern wichtige Erkenntnisse zum Thema Werte- und Demokratieerziehung, auf Basis derer wir den konstruktiven Austausch mit der Landesregierung von Thüringen suchen werden. Auch die von der Kultusministerkonferenz unter dem Vorsitz von Minister Holter am 11. Oktober 2018 veröffentlichte Empfehlung zur Demokratieerziehung in der Schule ist vor diesem Hintergrund zu diskutieren. Klar ist: Was wir jetzt brauchen, sind entschiedene und konkrete Handlungsschritte der Politik, die den von allen Seiten bekundeten hohen Stellenwert einer Werte- und Demokratieerziehung für unser Land manifestieren – ohne die Schulen alleinzulassen.“

Gemeinsam mit dem VBE fordert der tlv thüringer lehrerverband:

  • Die feste fächerübergreifende Verankerung und deutlich stärkere Priorisierung aller Erziehungs- und Bildungsziele in den Lehrplänen von Schulen, und zwar fächerübergreifend.
  • Mehr Flexibilität, freie Gestaltungsräume und vor allem mehr Zeit für Schule, um Werteerziehung zu implementieren und erlebbar machen zu können.
  • Basierend auf einem Diskurs von Politik und Gesellschaft die Verständigung auf einen gemeinsamen Wertekanon, der Orientierung für alle Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern bietet.
  • Entschiedenes Handeln von der Politik, welches für die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen sorgt. U. a.:
    • die Einsetzung multiprofessioneller Teams,
    • den Ausbau von qualitativer, werteorientierter Ganztagsschule und
    • adäquate Voraussetzungen für die Erziehungspartnerschaft zwischen Lehrkräften und Eltern.
  • Ein verbessertes, intensiveres und standardisiertes Angebot von Veranstaltungen zur Werteerziehung in allen Phasen der Lehreraus- und -fortbildung, welches die intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Werteverständnis zum Ziel hat.
  • Die Bereitstellung einer zeitgemäßen technischen Infrastruktur an Schule, um einen reflektierten Umgang mit Medien als einem wichtigen Akteur bei der Wertevermittlung fördern zu können.
  • Ein verstärktes gesellschaftliches Engagement, welches außerschulische Angebote an Schule heranträgt und Lehrerinnen und Lehrer bei der Werteerziehung unterstützt.

tlv Pressemeldung 

Frank Fritze
Stellv. Landesvorsitzender