Die frisierte Wirklichkeit

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

neulich fiel mir in einem Postkartenständer eine freche Karte ins Auge. Dort stand in selbstbewussten Lettern: „Ich leide nicht an Realitätsverlust. Ich genieße ihn!“ Der Autor dieser hintersinnigen Lebensweisheit ist unbekannt, aber ich ahnte sofort, welcher Berufsgruppe er angehört: Politiker natürlich!

Nirgends sonst als in der Politik kann man Dinge, die ganz offensichtlich nicht real sind, mit horrenden Handelsmargen an die Öffentlichkeit verkaufen. Selbst beim Gebrauchtwagenhandel ist es dank Internet mittlerweile eher schwierig geworden, Schrott an den Kunden zu bringen. Der Wagen ist 20 Jahre alt, hat aber erst 2.000 Kilometer runter? Mooooooment mal! Schnell Google befragt: Bei „Gebrauchtwagen Kilometerstand überprüfen“ tauchen nach 0,3 Sekunden ungefähr 108.000 Ergebnisse auf, die mir verraten, wie ich auch als Laie dem Tachobetrüger auf die Schliche komme.

Die Behauptungen der Politiker sind leider nicht so leicht zu entzaubern, zumal sie äußerst wandelbar sind. Sobald jemand die Regierungsfäden in den Händen hält, werden die Etiketten ausgetauscht. Der behauptete Kilometerstand bleibt derselbe. Nur diejenigen, die danach googeln, sind andere.

1.500 Bewerbungen, eine wahre Flut von arbeitswilligen, thüringenversessenen Jungpädagogen: Das klingt gut. Wenn da nur die Realität an unseren Schulen nicht wäre, die uns sofort aufhorchen lässt: Mooooooment mal! War da nicht was mit Stellenwandlungen, Abordnungen, Monitorings, zu klein geratener Vertretungsreserve? Wieso rennen diese Massen uns denn nicht die Türen ein? Die Antwort ist so ernüchternd, wie es die Realität in der Regel nun mal ist: Es gibt sie nicht, diese Massen. Sie beruhen auf – sagen wir mal – Berechnungsfehlern. Aber egal, ob der Gebrauchtwagenhändler selbst am Tacho geschraubt hat oder nicht: Er ist derjenige, der den Etikettenschwindel an arglose Kunden weiterverkauft.

Wird er dabei erwischt, drohen ihm saftige Sanktionen. Was passiert jedoch, wenn man den Politiker erwischt? O seliger Berufsstand! Ihm bleiben seine Amtsvorgänger, die an allem Schuld sind, und die gegnerischen Fraktionen, die alles schlimmer machen. Seine Realität ist eine andere. Wenn die Bevölkerung derweil in ihrer ganz realen Politikverdrossenheit ertrinkt, sind das unvermeidbare Kollateralschäden. Und überhaupt: Sollen die Leute doch mit den Öffentlichen fahren. Hauptsache, sie kaufen kein Auto bei der Konkurrenz!

An dieser Realität kann der tlv nichts drehen. Das wäre auch moralisch fragwürdig. Aber wir fahren den Wagen für Sie auf die Hebebühne, prüfen ihn auf Herz und Nieren und geben dann ein unabhängiges Qualitätsurteil ab. Etiketten sind uns nämlich egal – für uns zählt nur, dass Sie gut und sicher unterwegs sind.

Allzeit gute Fahrt wünscht Ihnen

Ihr Rolf Busch