Die ewige Warteschleife: Thüringens Schulleiter zwischen den Stühlen

Online-Umfrage des tlv zeigt katastrophale Verhältnisse auf

Erfurt, 26.11.2015 – Bei der Mehrzahl der Teilnehmer einer vom tlv thüringer lehrerverband initiierten Online-Frage unter Thüringens Schulleitern zeigen sich deutliche Diskrepanzen zwischen dem erwartungsgemäßen und dem tatsächlich erlebten beruflichen Werdegang. Dies teilte der tlv nach der Auswertung der Umfrageergebnisse am heutigen Vormittag mit.

Die Erhebung der Daten erfolgte mithilfe eines eigens entwickelten Fragebogens, den die Teilnehmer im Internet anonym bearbeiten konnten. Dort wurden neben dem Geschlecht und der Schulart die „Amtsbiografien“ der Schulleiter und stellvertretenden Schulleiter erfasst. Angegeben wurden jeweils die Zeiträume, die die verschiedenen Phasen der Ernennung zum Schulleiter einnahmen, sowie die jeweilige Entgeltgruppe. Außerdem konnten sich die Befragten hinsichtlich ihrer Zufriedenheit mit dem für sie zuständigen Schulamt sowie dem Kultusministerium äußern.

Ergebnisse der Befragung

1. Teilnehmer

Von den 343 Personen, die den Fragebogen bearbeitet haben, waren 61% weiblich und 39% männlich. 174 Teilnehmer, das heißt etwas mehr als die Hälfte, haben den Fragebogen komplett ausgefüllt.

Den größten Anteil der Teilnehmenden stellten mit 42% die (stellvertretenden) Schulleitungen der Grundschulen, gefolgt von denen der Regelschulen (29%) und Gymnasien (17%). Die restlichen Prozente entfielen auf berufsbildende Schulen (11%), Förderzentren (3%), Gemeinschaftsschulen (2%) und Gesamtschulen (1%).

2. Zufriedenheit

Befragt nach ihrer Zufriedenheit mit der Unterstützung durch das für sie zuständige Schulamt im Hinblick auf die Besoldungssituation der Schulleitungsmitglieder gab die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer – nämlich 61% – an, dass sie „unzufrieden“ sei. Sehr viel geringer war hingegen der Anteil an „sehr zufriedenen“ (1%), „zufriedenen“ (3%) und „meist zufriedenen“ (8%) Teilnehmern. Weitere 14% waren „selten zufrieden“ und 13% „meist unzufrieden“.

Noch deutlicher fiel die Verteilung der Antworten bei der Frage nach der Zufriedenheit mit der Unterstützung in Besoldungsfragen durch das Kultusministerium aus: 80% zeigten sich „unzufrieden“ und weitere 8% „meist unzufrieden“. „Sehr zufrieden“ und „zufrieden“ waren jeweils 1%, „meist zufrieden“ 2%, „selten zufrieden“ die verbleibenden 7%.

3. Zeiten auf den „Beförderungsstufen“

Einer der beiden Kernpunkte der Online-Befragung war der Entwicklungsweg, den die Kollegen vom Lehrer zum Mitglied der Schulleitung beschreiten. Der Werdegang ist im Idealfall folgendermaßen:

Fällt ein (stellvertretender) Schulleiter aus – durch längere Krankheit oder beginnende Altersteilzeit – wird zunächst ein Lehrer mit den entsprechenden Aufgaben „betraut“. An diesem Punkt läuft noch kein Bewerbungsverfahren. Der Kollege oder die Kollegin übernimmt das Amt vorübergehend.
Setzt sich der „betraute“ Kandidat in dem bei Freiwerden des Postens folgenden Bewerbungsverfahren durch, so wird er zunächst „beauftragt“. Diese Phase dient normalerweise seiner Bewährung im Amt. Allerdings hat der beauftragte (stellvertretende) Schulleiter selbstverständlich bereits alle damit verbundenen Pflichten und Verantwortlichkeiten zu erfüllen.
Nach der Bewährungszeit erfolgt schließlich die „Bestellung“ zum (stellvertretenden) Schulleiter.
Vor diesem Hintergrund wurden die einzelnen Stufen der Amtsübernahme der Schulleiter im Freistaat näher beleuchtet. Dabei trat folgendes zutage:

Sowohl die Zeiten der „Betrauung“ als auch die der „Beauftragung“ waren in vielen Fällen unverhältnismäßig lang. In einem Gymnasium war der betreffende Kollege acht Jahre lang mit den Aufgaben des stellvertretenden Schulleiters betraut, in einem weiteren Fall, ebenfalls ein Gymnasium, vier Jahre lang. Auch an den Grundschulen sind mehrfach mehrjährige „Betrauungszeiten“ zu verzeichnen – hier waren es in einem Fall fünf Jahre.

Hinsichtlich der „Beauftragung“, die als eine Art Probezeit im Amt zu verstehen ist, wurden bei der Auswertung der Umfrage knapp 50 Fälle festgestellt, in denen diese Phase länger als 13 Monate dauerte. An einer Grundschule war ein Schulleiter fünf Jahre lang beauftragt, ein Regelschulleiter verharrte drei Jahre lang auf dieser Stufe. Auch an den Gymnasien zeigen sich mehrere Fälle, in denen der Schulleiter drei oder fünf Jahre lang lediglich beauftragt, aber nicht bestellt war. Außerdem gibt es mehrere Beispiele, bei denen Teilnehmer mehrfach hintereinander beauftragt wurden, ohne dass jedoch die Bestellung ins Amt erfolgte.

4. Besoldung

Der zweite wesentliche Punkt der Umfrage war die Besoldung. Der tlv wollte wissen, inwieweit die Betrauung, Beauftragung oder Bestellung mit bzw. ins Amt des (stellvertretenden) Schulleiters mit einer tariflichen Höhergruppierung einherging.

Hier zeigte sich ein ähnlich unvorteilhaftes Bild wie bei den Beförderungsstufen. Nach Erkenntnissen des tlv ist es eher die Ausnahme, dass mit der Bestellung oder gar schon mit der Beauftragung auch eine Höhergruppierung erfolgt. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ändert sich die Entgeltgruppe nicht oder erst sehr viel später. Dabei ließ sich auch feststellen, dass an den Gymnasien tendenziell eher eine Höhergruppierung der beauftragten und bestellten Schulleiter erfolgt als an den Grundschulen.

tlv Landesvorsitzender: „Schlimmste Vermutungen haben sich bewahrheitet“

Rolf Busch, der Landesvorsitzende des tlv, zeigte sich wenig überrascht, aber dennoch betroffen von den Ergebnissen der Umfrage. „Aus einzelnen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen wussten wir bereits, dass diese Praktiken in Thüringen Gang und Gäbe sind. Es jetzt so geballt Schwarz auf Weiß zu sehen fühlt sich jedoch trotzdem noch einmal anders an. Unsere schlimmsten Vermutungen haben sich bewahrheitet. Thüringens Schulleiter befinden sich zu großen Teilen in einer ewigen Warteschleife – sie warten auf die Anerkennung für die Mehrbelastungen, die ihr Amt mit sich bringt.“

Ein erster Lichtblick, so Busch weiter, sei die unlängst erfolgte Ankündigung einer geplanten Höhergruppierung der Schulleiter im Dezember. „Nach Informationen, die dem tlv vorliegen, plant das Kultusministerium demnächst einen entsprechenden Schritt.“ Art und Umfang seien noch nicht weiter bekannt, allerdings gehe man davon aus, „dass es sich hier um eine erste Reaktion auf die Umfrage handelt.“ Auch wenn die „vier Fünftel Unzufriedenen“ dem Ministerium noch nicht genannt worden seien, habe wohl allein der Fakt, dass eine solche Befragung mit so hoher Beteiligung stattgefunden hat, ein erstes Umdenken bewirkt.

„Die Dinge müssen sich ändern – und zwar bald!“

Der tlv selbst hat indes klare Forderungen an die Verantwortlichen der Bildungspolitik formuliert. Dabei stützt er sich unter anderem auf die zahlreichen Anmerkungen der Umfrageteilnehmer.

„Es muss ein Umdenken hinsichtlich des Status der Schulleiter stattfinden“, lautet etwa der Tenor aus den Grundschulen, „und die Mehrarbeit muss endlich anerkannt werden.“ Ähnliches lassen auch die Regelschulen und Gymnasien verlauten. Einigkeit herrscht vor allem in zwei Punkten: Der Mehraufwand in den Führungspositionen muss regulär angemessen vergütet werden und es müssen feste Zeitraster für die Beförderung und die Besoldung geschaffen werden.

Konkret fordert der tlv:

  1. eine Begrenzung der Probe-/Bewährungszeit („Beauftragung“) auf die maximale Dauer von 12 Monaten
  2. eine mit der Bestellung zeitgleich erfolgende Höhergruppierung in die für die Planstelle ausgewiesene Besoldungsgruppe/Entgeltgruppe
  3. die Zuweisung einer höheren Schulpauschale, gerade auch bei Grundschulen, damit die Unterrichtsverpflichtungen von Schulleitungen zugunsten ihrer Leitungsaufgaben gesenkt werden können.

Die teilweise bestehende Arbeitsbelastung für Schulleitungen, so der tlv, könne so nicht weiter hingenommen werden. Andernfalls sei mittelfristig die Lehrergesundheit in vielen Fällen massiv gefährdet. Außerdem gebe es an einigen Orten bereits Probleme, Bewerber für die Leitungsposten zu finden, weil die Praktiken allgemein bekannt seien. Es sei deshalb „traurige Wahrheit, dass in einzelnen Fällen Schulleiter für eine weitere Schule in der näheren Umgebung verantwortlich sind.“ Und, so der Landesvorsitzende Busch abschließend, „Was das bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen.“