Bezüge sächsischer Beamter der Besoldungsgruppe A 10 im Jahr 2011 verfassungswidrig

Erstmals hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 17.11.2015 detaillierte Grundsätze zur Beamtenbesoldung in Bund und Ländern aufgestellt.

Die wesentlichen Inhalte des Urteils sind in einer Pressemitteilung des BVerfG vom 18.12.2015 zu finden.

Die seit der Föderalismusreform von 2006 herrschende Freiheit der Bundesländer, den Sold der Staatsdiener je nach Haushaltslage zu deckeln, hat damit ein Ende.

Das Urteil enthält für die Ermittlung der noch zulässigen Untergrenze der Besoldung mehrere Prüfstufen sowie fünf volkswirtschaftliche Parameter, mit denen die Entwicklung der Besoldung zu vergleichen ist.

  1. Ein erster Parameter ist eine deutliche Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und den Tarifergebnissen der Angestellten im öffentlichen Dienst in dem jeweils betroffenen Land oder – bei der Bundesbesoldung – auf Bundesebene. Ein Indiz für eine evidente Missachtung des Alimentationsgebotes liegt in der Regel vor, wenn die Differenz zwischen den Tarifergebnissen und der Besoldungsanpassung mindestens fünf Prozent des Indexwertes der erhöhten Besoldung beträgt. Ausgehend von dem jeweils streitgegenständlichen Zeitabschnitt ist die Betrachtung dabei auf den Zeitraum der zurückliegenden 15 Jahre zu erstrecken.
  2. Ein zweiter Parameter ist eine deutliche Abweichung der Besoldungsentwicklung von der Entwicklung des Nominallohnindex im jeweils betroffenen Land. Eine evidente Missachtung des Alimentationsgebotes ist indiziert, wenn die Differenz bei Zugrundelegung eines Zeitraums von 15 Jahren mindestens fünf Prozent des Indexwertes der erhöhten Besoldung beträgt. Verzerrungen infolge der Steuerprogression oder der Belastung mit Sozialabgaben fallen bei dieser relationalen Betrachtung nicht signifikant ins Gewicht und könnten gegebenenfalls im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden.
  3. Ein dritter Parameter ist eine deutliche Abweichung der Besoldungsentwicklung von der Entwicklung des Verbraucherpreisindex in dem jeweils betroffenen Land oder – bei der Bundesbesoldung – auf Bundesebene. Bleibt die Besoldungsentwicklung im verfahrensgegenständlichen Zeitabschnitt hinter der Entwicklung des Verbraucherpreisindex in den zurückliegenden 15 Jahren um mindestens fünf Prozent zurück, ist dies ein weiteres Indiz für die evidente Unangemessenheit der Alimentation.
  4. Ein vierter Parameter ist der systeminterne Besoldungsvergleich. Aus dem Leistungsgrundsatz in Art. 33 Abs. 2 GG und dem Alimentationsprinzip in Art. 33 Abs. 5 GG folgt ein Abstandsgebot, das es dem Gesetzgeber ungeachtet seines weiten Gestaltungsspielraums untersagt, den Abstand zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen dauerhaft einzuebnen. Verfassungsrechtlich bedenklich ist in diesem Lichte auch eine alimentationsbezogene Schlechterstellung höherer Besoldungsgruppen durch eine zeitversetzte und/oder gestufte Inkraftsetzung der Besoldungserhöhung als Ausdruck einer sozialen Staffelung. Ein Verstoß liegt in der Regel vor bei einer Abschmelzung der Abstände zwischen zwei vergleichbaren Besoldungsgruppen um mindestens 10 Prozent in den zurückliegenden fünf Jahren. Für die Wahrung eines ausreichenden Abstands der Bruttogehälter höherer Besoldungsgruppen zu denen unterer Besoldungsgruppen ist im Übrigen in den Blick zu nehmen, dass die Nettoalimentation in den unteren Besoldungsgruppen ihrerseits einen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau aufweisen muss. Dabei ist zu prüfen, ob ein solcher Mindestabstand zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum unterschritten wäre, wenn die Besoldung um weniger als 15 Prozent über dem sozialhilferechtlichen Bedarf läge.
  5. Ein fünfter Parameter ist der Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder. Zeigt sich eine erhebliche Gehaltsdifferenz im Vergleich zum Durchschnitt der Bezüge der jeweiligen Besoldungsgruppe im Bund oder in den anderen Ländern, spricht dies dafür, dass die Alimentation ihre qualitätssichern-de Funktion nicht mehr erfüllt. Wann eine solche Erheblichkeit gegeben ist, kann nicht pauschal beantwortet werden. Liegt das streitgegenständliche jährliche Bruttoeinkommen einschließlich etwaiger Sonderzahlungen 10 Prozent unter dem Durchschnitt des Bundes und anderer Länder im gleichen Zeitraum, ist dies jedenfalls ein weiteres Indiz für eine verfassungswidrige Unteralimentation.

Wenn drei der oben genannten fünf Parameter erfüllt sind, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation; diese Vermutung kann im Rahmen einer Gesamtabwägung durch Berücksichtigung weiterer alimentationsrelevanter Kriterien widerlegt oder erhärtet werden (2. Prüfungsstufe). Näheres zur zweiten Prüfungsstufe kann der Pressemitteilung des BVerfG entnommen werden.

Die sächsische Besoldung blieb um 5,5 Prozent hinter dem Anstieg der Tariflöhne, um 7,8 Prozent hinter dem Nominallohnindex und um 6 Prozent hinter den Verbraucherpreisen zurück – alles außerhalb der Toleranzgrenzen, die Karlsruhe formuliert hat.

Berücksichtigt werden dabei auch die Einschnitte bei Sonderzahlungen, Beihilfe und Altersversorgung. Zudem moniert das Gericht die große Kluft zur Privatwirtschaft. Die Klägerin arbeitete bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt – vergleichbare Fachleute bei Versicherungsunternehmen verdienen fast durchgängig mehr. Sachsen muss bis Mitte 2016 nachbessern.

Vom Grundsatz der amtsangemessenen Bezahlung kann der Staat dem Bundesverfassungsgericht zufolge nur zur Bewältigung von Ausnahmesituationen abweichen. Das Ziel der Haushaltssanierung oder die Schuldenbremse, die ab 2020 Haushalte ohne Neuverschuldung verlangt, sind allein nicht ausreichend. Das besondere Treueverhältnis verpflichtet Beamte nicht dazu, stärker als andere zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte beizutragen.

Mit seiner Entscheidung knüpfte das Bundesverfassungsgericht an ein Urteil zur Besoldung vom Richtern und Staatsanwälten vom 5. Mai 2015 an, in dem es bereits ent-sprechende Maßstäbe festgelegt hatte. Die Prüfung durch das Thüringer Finanzministerium, dass die 6-monatige Verzögerung der Thüringer Besoldungserhöhung 2015 gegenüber der Tariferhöhung nicht gegen diese Maßstäbe verstößt, war eine der Ur-sachen für die späte Vorlage des Gesetzentwurfs zur Besoldungsanpassung für die Thüringer Beamtinnen, Beamten und Versorgungsempfänger.

So positiv es zu werten ist, dass das Bundesverfassungsgericht mit diesem Urteil eine klare Untergrenze für die Übertragung von Tarifergebnissen auf die Besoldung definiert und gesetzgeberischen Willkürhandlungen einen Riegel vorgeschoben hat, so negativ ist zu sehen, dass im Falle „knapper Kassen“ (diesen Fall wird es wohl fast immer geben) eine Orientierung an dieser Untergrenze vorgenommen werden könnte.

In weiteren Verfahren entschieden die Richter, dass angegriffene ähnliche Regelungen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen mit dem Grundgesetz vereinbar sind (2 BvL 19/09, 2 BvL 20/09, 2 BvL 5/13, 2 BvL 20/14). Ein Grund zum Jubeln ist das beschriebene Urteil des BVerfG daher nicht.

Der tbb erwartet, dass sich die Thüringer Landesregierung und der Thüringer Landtag bei künftigen Anpassungen nicht vorrangig an dieser Untergrenze orientieren. Die Arbeitsbelastung der Kolleginnen und Kollegen ist nicht erst seit der Flüchtlingskrise enorm gestiegen. Zudem steht der öffentliche Dienst vor großen Problemen bei der Nachwuchsgewinnung.

Der stellvertretende dbb-Vorsitzende Ulrich Benra sagte dazu: „Wir benötigen überall in Deutschland eine attraktive und wettbewerbsfähige Besoldung zur Motivation unserer Beamtinnen und Beamten und für die künftige Gewinnung geeigneter Fachkräfte. Die öffentlichen Aufgaben sollen ja auch in Zukunft bestmöglich erfüllt werden.“

Der tbb beamtenbund und tarifunion thüringen jedenfalls wird darauf hinwirken, dass für künftige Besoldungsrunden auch unter diesem Aspekt die zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Tarifergebnisses auf die Besoldung und Versorgung als Maßstab angelegt wird.

Quelle: tbb

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